MONITOR-Sendung am 17. März 2005

MONITOR Nr. 530 am 17. März 2005 WDR-Fernsehen
Feinstaubbelastung: Wie die Städte geschönte Zahlen messen

Bericht: Markus Zeidler, Frank Konopatzki

Sonia Mikich: "Unser letztes Thema. Feinstaub ist gefährlich. An den Folgen dieser unsichtbaren Schadstoff-Partikel sterben allein in Deutschland jährlich 65.000 Menschen, so schätzen Experten. Deshalb müssen seit diesem Jahr in ganz Europa strenge Grenzwerte verbindlich eingehalten werden. Und da ist die Zahl 35 für viele deutsche Städte eine Schreckenszahl. Maximal 35 Mal innerhalb eines Jahres dürfen sie die Grenzwerte überschreiten. Danach muss gehandelt werden. Zum Beispiel mit Fahrverboten, einer City-Maut und so weiter. Sonst drohen Millionen-Strafen aus Brüssel.

Schon jetzt zeichnet sich ab: Viele Städte können die neuen Vorgaben nicht erfüllen.

Frank Konopatzki und Markus Zeidler zeigen, was man sich mancherorts einfallen lässt, damit der 35. Tag nie eintritt."

In den Häuserschluchten der Großstädte krallt er sich fest. Auf dem Asphalt; den Fassaden der Häuser, in den Lungen der Menschen.

Feinstaub: Kleinste Schadstoff-Partikel aus Abgasen und Reifenabrieb. 65.000 Menschen sterben jedes Jahr frühzeitig an den Folgen dieser Umweltbelastung allein in Deutschland. Zehn mal mehr als bei Verkehrsunfällen. Ergebnisse einer aktuellen EU-Studie.


Prof. Heinz-Erich Wichmann, Umwelt-Epidemiologe: "Wir sehen Wirkungen auf das Herz, Herz-Rhythmus-Störungen, Herzinfarkte treten vermehrt auf. Wenn Menschen in belasteten Gegenden wohnen, dann findet man dort eine erhöhte Sterblichkeit durch Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vermehrt Lungenkrebs."

Reporter: "Das sind aber doch drastische Wirkungen?"

Prof. Heinz-Erich Wichmann, Umwelt-Epidemiologe: "Das sind drastische Wirkungen und in der Tat ist das Feinstaubproblem heute das wichtigste Umwelt-Problem, was die Luft angeht."

Die italienische Antwort auf das Feinstaub-Problem. Bologna letzen Sonntag. Ein autofreier Sonntag. Nicht zum ersten Mal in diesem Jahr.

Seit Januar gab es wegen der neuen Feinstaub-Grenzwerte der EU in vielen italienischen Städten mindestens einen solchen autofreien Tag. Die Menschen hier nehmen's überwiegend mit Gelassenheit.

Italienischer Passant, Übersetzung MONITOR: "Wir werden halt vernünftiger. Früher war die Luft dreckig. Jetzt geht es uns besser. Da haben schließlich alle was davon."

Freie Fahrt nur für Bus und Bahn. In Italien gilt die gleiche EU-Richtlinie zur Luftreinheit wie in Deutschland. An maximal 35 Tagen im Jahr darf der neue Grenzwert für Feinstaub überschritten werden.

Anders als bei uns haften in Italien die Bürgermeister persönlich dafür. Im schlimmsten Fall drohen den Stadt-Oberhäuptern zwei Jahre Gefängnis. Und so stehen in Italien die Autos still. Und in Deutschland die Politik.
Prof. Heinz-Erich Wichmann, Umwelt-Epidemiologe;

Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe: "Die EU-Kommission hat im Jahr 1999 alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, in diesem Jahr die Grenzwerte für Feinstaub einzuhalten. Zuständig in der Umsetzung sind die Bundesländer und die Kommunen. Diese hatten drei Jahre Zeit, sich bis Ende letzten Jahres mit Luftreinhaltung-Aktionsplänen vorzubereiten. Das ist praktisch überall unterblieben und wir stehen jetzt vor einem Scherbenhaufen. In Deutschland gibt es nirgendwo ausreichende Aktionspläne, um diese Luftgrenzwerte durchzusetzen."

Die "Deutsche Umwelthilfe" will jetzt in besonders stark belasteten Städten Fahrverbote erzwingen - vor Gericht. Der Umweltschutzverband unterstützt entsprechende Klagen betroffener Anwohner, wie die von Ringo Müller. Der Student lebt in Berlin. Dort fürchten alle: Die Grenze von 35 Tagen mit zu hohen Feinstaub-Werten wird schon bald überschritten.

Ringo Müller: "Was blüht denn nun dem Land Berlin, wenn die 35 Tage überschritten sind?"
Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe;

Fabian Löwenberg, Rechtsanwalt: "Wir haben einfach zwei … zwei wichtige Druckmechanismen. Das eine ist der Bürger, der klagt, das sind Sie, Sie haben ein Recht auf saubere Luft, wir können das durchsetzen, die Verwaltung muss damit gezwungen werden dazu. Und das zweite ist, dass die Kommission darauf achtet, dass ihre Richtlinien eingehalten werden."

Die Frankfurter Allee in Berlin-Friedrichshain. Hier lebt Ringo Müller. Wenn er mit seiner Klage Erfolg hat, drohen Fahrverbote oder eine City-Maut. Ringo Müller ist frustriert. Seit Jahren wissen die Verantwortlichen, dass ab 2005 ein neuer Grenzwert für Feinstaub einzuhalten ist. Doch die Luft ist so schlecht wie eh und je. Deshalb klagt er vor Gericht.
Fabian Löwenberg, Rechtsanwalt;

Ringo Müller: "Das sind einfach mal die Werte, die eingehalten werden müssen. Und jeder, der hier wohnt, denk' ich mal, ist daran interessiert, damit die Luft, die er atmet, auch möglichst sauber ist. Junge Familien und Kindern und so weiter … ist ja ganz gefährlich."

Seit Anfang des Jahres wurde der Grenzwert für Feinstaub an der Frankfurter Allee bereits an 19 Tagen überschritten, obwohl es erst Mitte März ist.

An dieser Luftmess-Station wird die Belastung gemessen. Direkt an der Straße. Direkt an der Hauptquelle der Belastung. So wie es die Richtlinie der Europäischen Union vorsieht.

Eine Faust-Regel besagt: 25.000 Fahrzeuge plus beidseitige Bebauung gleich Feinstaub-Problem. Solche hoch belasteten Straßenschluchten gibt es in jeder größeren Stadt. Doch MONITOR-Recherchen zeigen: Nicht in jeder Stadt wird auch genau dort gemessen, wo der meiste Dreck zu finden ist.

Ein Grüngürtel am Südrand einer Millionen-Metropole. Hier wird die Feinstaub-Belastung der Stadt Köln gemessen. Einer von zwei Messcontainern des zuständigen Landesumweltamtes Nordrhein-Westfalen. Der zweite steht am Nordrand von Köln; ebenfalls weit entfernt von den Verkehrsbrennpunkten der Innenstadt. Hier werden geringere Feinstaub-Konzentrationen gemessen als in manchem deutschen Kurort. Was Wunder, dass die Millionenstadt Köln mit Feinstaub kein Problem hat. Zumindest offiziell nicht.
Ringo Müller;

Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe: "Die Deutsche Umwelthilfe hält ein solches Vorgehen für eine Manipulation und einen Verstoß gegen die Luftreinhalte-Richtlinie. Wir werden sicherlich vor Gericht eine Überprüfung einer solchen Praxis auch erreichen, und es kann nicht angehen, dass eine solche kreative Gestaltung der Messplätze durchgeht."

Kreatives Messen? Manipulation? Das Landesumweltamt von Nordrhein-Westfalen. Hier wird entschieden, wo in welcher Stadt gemessen wird und wo eben auch nicht. Mit Hilfe Computer gestützter Modellrechnungen für einzelne Straßenzüge. "Screening" nennt sich das. Rechnen ersetzt messen. Verlässliche Messwerte, darauf müssen viele Bürger in Nordrhein-Westfalen noch lange warten.
Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe;

Prof. Peter Bruckmann, Landesumweltamt NRW: "Wir werden noch mal, weil wir ja auch durchaus nicht ausschließen können, dass unser Screening-Verfahren Lücken hatte, dieses Screening-Verfahren noch mal aktualisieren, unter Einbeziehung der Kommunen in einer Web-basierten Anwendung, wo wir noch mal das Screening wiederholen werden mit aktuellen Daten.

Reporter: "Bis wann ist da mit Ergebnissen zu rechnen?"

Prof. Peter Bruckmann, Landesumweltamt NRW: "2006."
Prof. Peter Bruckmann, Landesumweltamt NRW;

Die EU-Richtlinie aber gilt bereits seit Januar. Doch selbst da, wo das Landesumweltamt längst höchste Belastungen errechnet hat, wird nicht überall schonungslos gemessen. In den rot markierten Städten stehen bis heute an den besonders belasteten Straßen keine Verkehrsmess-Stationen für Feinstaub.

Immerhin: In Köln wird demnächst eine neue Station gebaut. Doch auch die steht nicht in einer Häuserschlucht, obwohl es davon auch in Köln genug gibt.

Zurück nach Berlin, zurück zu Ringo Müller. Seit Januar gibt es ein Recht auf saubere Luft. Er kann es einklagen. Aber nur, weil in seiner Stadt wenigstens ehrlich gemessen wird.

Quelle:
http://www.wdr.de/tv/monitor/beitrag.phtml?bid=671&sid=126#id116

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